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Klagelied

Mein Klagelied

 

Nach fast zwei Jahren lese ich erneut meinen ersten Beitrag im Blog. Und er spricht mich immer noch an, da ich leider noch nicht alle meine gesundheitlichen Probleme durchgestanden habe. 

 

Fast alles unten beschriebene ist gut gekommen. Aber es kam Neues hinzu. So die Schmerzattacke, die schliesslich zur Rückenoperation führte. Der Absturz in eine erneute depressive Episode, wo ich mich sogar für zwei Wochen in die stationäre Behandlung begeben musste. 

 

Dann der Entscheid, mich vorzeitig pensionieren zu lassen. Und nun, also ich wieder gut unterwegs zu sein schien, erneut Schmerzattacken im Rückenbereich ausstrahlend. Gottlob "nur" eine Myogelose - Muskelverhärtungen, die wohl durch Dysbalance nach meinen vier Operationen entstanden sind. Ein sehr hartnäckiges Ding, in dem ich Fortschritte und dann wieder Rückschritte erlebe, nun seit bald drei Monaten. Es zehrt an mir.

 

Natürlich gibt es das andere, das "Aber". Dennoch: Das "Aber" darf nicht zu früh einsetzen und damit die wahren Gefühle verbergen oder verdrängen. Das Klagen hat seine Zeit.  Auch mein Klagen - und vielleicht auch deines.

 

 

Vor drei Jahren bin auch ich an der Klagemauer in Jerusalem gestanden und habe einen Zettel mit meinen Anliegen in die Ritzen der Mauer deponiert. Ja, manchmal ist es wirklich Zeit zum Klagen, auch bei mir.

 

Gegenwärtig ergeht es mir nicht besonders gut. Im Gegenteil. Ich hatte die Vorstellung, dass endlich eine Lebensphase kommt, die unbeschwert ist, ich durchatmen kann, mich über die leichten Seiten des Lebens erfreuen.

 

Da war bei mir in den letzten Jahren die lange Periode meiner depressiven Episode. Als Frucht daraus entstand das Buch "Zurück zum Leben" - meine erste, in einem Verlag veröffentliche Werk.  Nachdem ich mich erholt hatte, brach ich nach einer wunderschönen Ägyptenreise mit "Mission am Nil" meinen Oberschenkel - als Folge einer beginnenden Osteoporose, wie es sich später erwies. Vor einem Jahr zeigte eine Biopsie als Vorsorgemassnahme betreffend Entstehung eines Prostata-Karzinom einen ersten Herd. Diesen Frühling wurde deutlich: "Wir müssen handeln". Nun ist das Organ weg und die benachbarten Körperteile zeigen keine Krebszellen.

 

Und nun haben sich am dritten Ferientag massive Schmerzen im Lendenbereich gemeldet. Ich musste die Ferien abbrechen und mehrfach zum Hausarzt und in den Notfall. Unterdessen wirkt endlich ein massiver Mix von Schmerzmitteln, und eine Physiotherapie setzt ein.

 

Hört denn da nicht auf? Immer wieder, immer wieder dieser Kampf, neu aufzustehen?

Ich weiss, ich bin nicht der Einzige, der auf dieser Welt leidet. Und ich weiss, ich bin zu oft ahnungslos und ohne wirkliche Anteilnahme an anderen vorbeigelaufen, die leiden. Was ihr Leiden ist, lässt sich nie wirklich voll erahnen. Ich weiss erst, seit ich selbst betroffen war, wie das ist, in der Haut depressiver Empfindungen zu stecken. Das Klagelied. Es gehört zu meinem Leben und ebenso zu meinem Glauben. 

Im "Zofinger Corona-Psalter" schreibt Albert Baumann zu Psalm 77, einem Klagelied von Asaf:

  

"Was soll ich denn sagen,

habe nicht gelernt zu klagen.

Als Christ war dulden angesagt,

mit Freuden und immer unverzagt.

 

Gar noch schreien und Gott bedrängen,

passte nicht zu liturgischen Gesängen.

Sollte ich wie Asaf verzweifelt beten und

zornig sogar Gott entgegentreten?

 

Unrecht begegnet mir täglich fast,

wie das nicht auf Verheissungen passt.

So kann ich mich nicht trösten lassen,

nein, ich muss gar mein Leben hassen.

 

Sieht Gott denn nicht meine Lage,

lässt ER mich allein, wenn ich mich plage?

Verwirrt bin ich und untröstlich schwach,

mein Versagen mir ins Gesichte lach'.

 

Nichts mehr reden, nichts mehr sehen,

will Gottes Willen so nicht verstehen!

Alles läuft nicht nach meinem Sinn,

mein Glaube bringt mir wenig Gewinn.

 

Wohl habe ich Gottes Absichten verkannt

und mich in Eigensinn und Stolz verrannt.

Anfänglich ich Begeisterung zelebriert,

heute mich diese Erinnerung eher friert.

 

Habe ich den Glauben falsch verortet

und für mich als Saubermann gehortet?

Hat Gott mich etwa gar vergessen,

ich merke, solches Denken ist vermessen.

 

Gottes Gnade lässt ER verkünden,

will alle Menschen mit sich verbünden,

wie ER das tut, ist seine Sache;

er beruft alle, zuerst das Schwache.

 

Also hat ER (Gott) die Welt geliebt,

seinem Sohn die Herrlichkeit versiebt.

Dieser in Freuden Gehorsam beweist

und unter viel Leiden diese Welt bereist.

 

Hohn und Spott Gott sich gefallen muss,

schlussendlich Verrat mit Freundes-Kuss.

Seine Menschen ihn zu Tode quälen;

er dadurch kann alle zum Heil erwählen.

 

Wie kann ich an solch' Liebe zweifeln nur

die Wunden JESU Heilkraft spenden pur!

Lass mich doch an dieser Gnade genügen,

auch wenn alle Welt mich will belügen.

 

Ich selber mir zur Plage werde,

kein Gottvertrauen täglich pflege.

Muss neu lernen über dich zu denken,

und mich in deine Güte hinein versenken.

 

Will wie Asaf ein Lied neu dazu erdichten

auf diese Weise meine Seele lichten.»

 

Jemand schreibt mir zu diesem Blog: «Lieber Max, das tut mir echt leid, dass ihr eure Ferien abbrechen musstet und du so von Schmerzen geplagt wirst! Ich verstehe dich gut, wenn du frägst wann dass dein Leben endlich wieder in ruhigeren und gesunden Bahnen läuft.

 

Ich habe keine Antworten auf diese Frage, weiss einfach aus eigenem Erleben, dass wir, auch in tiefen Nöten, Moment für Moment getragen werden. Auch wenn sich das in der Situation drin oft nicht so anfühlt - im Nachhinein erkenne ich immer wieder staunend, dass die Kraft irgendwie doch kam und reichte. Nicht im Überfluss, aber es war genug... So wünsche ich dir die spürbare Kraft unseres HERRN und das geborgen sein in IHM! Und geben wir die Hoffnung nicht auf, dass ER eingreifen wird, zu seiner Zeit!»

 

 

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