
Destruktives Denken und Verhalten überwinden
Kennst du das auch? Manchmal überfallen dich Gedanken und damit verbundene Einstellungen, die dir nicht guttun. Du weisst es eigentlich, doch du erlebst dich ihnen ausgeliefert. Was tun?
Martin Luther meint: «Dass die Vögel der Sorge und des Kummers über deinem Haupt fliegen, kannst du nicht ändern. Aber dass sie Nester in deinem Haar bauen, das kannst du verhindern.»
Nick Ostrau meint dazu: «Dieser Spruch Luthers macht Mut, sich den eigenen schwarzen Gedanken entgegen zu stellen, sei es durch die eigenen Kraftreserven, durch Hilfesuche bei anderen oder im Gespräch mit Gott, besonders auch in Zeiten depressiver Verstimmungen.»
Achtsamkeit
Heute ist in diesem Zusammenhang oft von «Achtsamkeit» die Rede. Der Begriff wurde populär durch den amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn. Schon als junger Mann wurde durch einen buddhistischen Gelehrten das Interesse für Meditation geweckt. Er begann deren Auswirkung näher zu erforschen und entwickelte das Programm der «Mindfulness-Based Stress Reduction». Es ist heute breit anerkannt in Medizin und Gesellschaft.
Ich habe die Methode im Rahmen der Therapie kennengelernt und wende es unterdessen regelmässig an. Zu Beginn setze ich mich hin, möglichst entspannt, achte auf meinen Atem, lasse ihn kommen und gehen. Dann wende ich meine Aufmerksamkeit meinem Körper zu, wo es ihm wohl ist, wo ich verspannt bin oder Schmerzen sind. Schliesslich höre ich in mich hinein, was für Gedanken ich habe. Ich nehme das alles bewusst wahr, bewerte es aber nicht. Es ist, wie es ist.
Bereits diese Übung führt dazu, dass ich ruhiger und gelassener werde. Ich verzichte darauf, mich aufzuregen, wo etwas ist, was nicht so ist, wie es haben möchte.
Wie wichtig das alles ist, wusste auch Luther. Und die ganze Sache ist noch viel älter. Ich brauche nicht Buddhist zu werden, um es zu entdecken. Bereits die Wüstenväter wussten darum.
Reifes Handeln
Doch zunächst noch etwas, was ich bei Thomas Härry gefunden habe. Er ist Dozent am Theologischen Seminar in Aarau und ein gefragter Referent im Bereich Persönlichkeitsentwicklung und Führungsfragen. In seinem Buch «Die Kunst des reifen Handelns» beschreibt er, was eine echte Persönlichkeit ausmacht: «Die Sorge und Aufregung seiner Freunde (oder seiner selbst; MH) macht ihn betroffen, aber er beugt sich der damit verbundenen Forderung an ihn nicht. Er verfügt über ein inneres Gegengewicht und wird deshalb vom Druck, den man auf ihn ausübt, nicht überwältigt. Seine innere Gewissheit und Ruhe sind stärker als das Klima der Verunsicherung, das ihn umgibt.»[1] Manchen reichen schon Worte, die jemand ausspricht oder die sie sich selbst zusprechen, aus, Ruhe, Klarheit und eine gesunde Autorität zu finden.
Neurobiologen bestätigen, welchen Einfluss positive Botschaften auf das Gehirn haben. Thomas Härry rät, «in angespannten Zeiten, in Konflikten und unter Stress für Momente zu sorgen, wo wir durchatmen, zur Ruhe kommen, eine Nacht durchschlafen. Manche E-Mail hätten wir wohl anders formuliert, wenn wir eine Nacht hätten verstreichen lassen, statt sofort verärgert oder verletzt zurückzuschiessen. Manches Gespräch wäre vermutlich anders gelaufen, wenn wir vorher einen Spaziergang gemacht, zur Ruhe gekommen und um Gottes Hilfe gebeten hätten. Merken Sie sich deshalb: Um die unreife (rote) Zone verlassen zu können, muss ihr Ihr Gehirn auf den präfrontalen Cortex umschalten. Das kann er nur, wenn Sie innerlich zur Ruhe kommen.»[2]
Die grosse Widerrede (Antirrhetikos)
Die Wüstenväter waren eine Bewegung frühchristlichen in Syrien und Ägypten Ende des 3. Jahrhunderts. Sie lebten in schwierigen Zeiten einer harten Christenverfolgung durch den römischen Kaiser. Sie zogen sich zurück in die Wüste, als einzelne oder als Gruppen und führten ein Leben, das durch Askese, Arbeit und Gebet bestimmt war. Viele suchten bei ihnen Weisheit und Rat. Einer davon war Evagrius Ponticus (345-299) in Ägypten.
Seine Begabung war es, «genau hinzusehen, den Menschen so zu sehen, wie er ist, mit all seine Leidenschaften, Wünschen und Schwächen.»[3] Die gebildeten Mönche der ägyptischen Wüste beschäftigten sich nicht nur mit Theologie und Philosophie, sie dachten auch über sich selbst nach: ihre inneren Kämpfe und Versuchungen, die Wege zur Bewältigung ihrer Probleme und der Vertiefung ihres Lebens in der Beziehung zu Gott. Viele suchten bei Evagrius Pontikus entsprechenden Rat. Daraus entstand ein Buch, das heute wieder zunehmende Beachtung findet: «Die Widerrede».
Der Hintergrund ist die «Acht-Laster-Lehre», ein interessantes Kapitel der damaligen klösterlichen Psychologie. Sie geht davon aus, dass es im Menschen acht grundlegende Bestrebungen gibt, die von seiner inneren Bestimmung und Gott wegführen möchten. Es sind Völlerei, Unkeuschheit, Geldgier, Zorn, Traurigkeit, Lustlosigkeit, eitle Ruhmsucht und Stolz.
Es gilt, ihnen weise zu begegnen statt sich von ihnen beherrschen zu lassen. Bei Evagrius werden sie auch als «Dämonen» bezeichnet, destruktive Kräfte. Die Methode ist, dass dann, wenn sie sich melden, der Mensch lernt, ihnen das richtige entgegenzusetzen. Als Quelle dazu dient die Bibel.
Einige Beispiele:
Gegen Gedanken, die sich Sorgen machen um Nahrung und Kleidung unter dem Vorwand der Gastfreundschaft und unter dem Vorwand lang währender Krankheiten und grosser Schmerzen:
Sorget euch nicht um euer Leben, was ihr zu essen habt, noch um euren Leib, was ihr anzuziehen habt; denn das Leben ist mehr als Nahrung.» (Matthus 6,25)
Wenn in unserem Leben Gesund zu essen und sich gut zu kleiden zu einer ständigen Hauptsorge wird, zu einer Art Religion, dann stimmt etwas nicht mehr und wir uns fragen: Ist das Leben nicht noch mehr? Was hält und trägt mich? Sehe ich nur noch mich oder sehe ich auch meinen Bruder und Schwester in ihrer Bedürftigkeit.
Zum Herrn wegen der Menge der unreinen Gedanken, die uns zermürben und quälen und unser Denken nach verschiedenen Seiten lenken:
Herr, wie sind es doch so viele geworden, die mich bedrängen; viele stehen gegen mich auf, und viele sagen zu meiner Seele: Für dich gibt es keine Rettung bei Gott. Du aber, Herr, bist mein Beistand und mein Ruhm, der mein Haupt erhöht. Psalm 3,2
Sexualität ist eine der genialsten Geschenke, die Gott uns gemacht hat. Doch wie leben wir sie? Sind wir Getriebene von unseren Trieben? Tun wir, was heute scheinbar alle machen: Untreue in Beziehungen, Ersatzbefriedigung über das Internet statt Sexualität als Ausdruck der Liebe in verbindlichen Beziehungen? 90% der Männer schauen sich Sex-Pornos an. Das macht etwas mit uns. Wir tun es, obwohl wir wissen, dass es eigentlich billig ist. Wollen wir das wirklich?
Zur Seele, die Gedanken des Zorns in sich aufsteigen lässt und gegen die Brüder böse Anschuldigungen und falsche Verdächtigungen zusammensucht:
Höre auf mit dem Zorn und lass ab vom Grimm, reize nicht zur Eifersucht, so dass du Schlechtigkeit begehen würdest; denn diejenigen, die Schlechtigkeit begehen, werden ausgerottet werden, die aber auf den Herrn harren, diese werden das Land erben. Psalm 38,7f
Wer von anderen herabgesetzt, missverstanden, ungerecht und unfair behandelt wurde, ist verletzt. Was dann in uns aufsteigt, kann uns völlig beherrschen. Wir schlagen wild um uns und versuchen uns zu rächen. Das kann zu einem Teufelskreis werden, indem wir immer tiefer versinken.
Eigene destruktive Muster erkennen und überwinden
Der Katalog von falschen Denk- und Verhaltensweisen, der uns bei Evagrius Pontikus begegnet, ist oft schwerverständlich und mit wenig Bezug auf unsere heutige Situation. Doch der Ansatz ist sehr hilfreich. Es gilt die eigenen «Dämonen» (Schwachstellen in unserem Denken und Verhalten) zu erkennen und ihnen das entgegenzustellen, was uns zu überwinden hilft.
Es geht zuerst um nüchterne Selbstbeobachtung. Was läuft bei mir ab? Wo erkenne ich, dass mein Denken und Verhalten ein Irrweg ist? Ich beobachte mich im Rückblick auf den vergangenen Tag und notiere mich ungutes Denken und Verhalten.
Dann frage ich mich: Was will mir Gott zeigen? Was sagt die Bibel etwa zu Mobbing? Sehr hilfreich sind gute Bibelkenntnisse. Deshalb sollte die Bibel zu unserer täglichen Lektüre gehören. Tools dazu gibt es mehr als genug. Sehr gut ist die App «youversion», die global verbreitet ist und von über 500 000 000 Personen heruntergeladen wurde. Wer sie installiert, kann sie anschliessend auf Deutsch umstellen. Dort gibt es viele Vorschläge zur Bibellektüre nach Stichworten, die bei mir gerade aktuell.
Meine Muster und meine Widerrede
Ich bin selbst dran, mich zu beobachten und dem das entgegenzusetzen, was mir in der Bibel begegnet. Hier einige Beispiele:
Wenn ich über Mitmenschen negativ denke
Jesus Christus spricht:
Ein neues Gebot gebe ich euch,
dass ihr einander liebt,
wie ich euch geliebt habe.
Johannes 13,34
Wenn ich zweifle, dass ich geliebt bin
Denn du hast meine Nieren bereitet
und hast mich gebildet im Mutterleibe.
Ich danke dir dafür,
dass ich wunderbar gemacht bin;
wunderbar sind deine Werke;
das erkennt meine Seele.
Psalm 139,13-14
Wenn ich mich missverstanden erlebe
Ein Mensch sieht, was vor Augen ist;
der HERR aber sieht das Herz an.
1. Samuel 16,7
Wenn ich enttäuscht bin, dass kein Dankeschön zurückkommt
Wenn du aber Almosen gibst,
so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,
auf dass dein Almosen verborgen bleibe;
und dein Vater, der in das Verborgene sieht,
wird dir's vergelten.
Matthäus 6,3-4
Wenn meine Arbeit wie ein Berg vor mir steht und ich mir nicht vorstellen kann, wie ich das schaffe
Und Abraham vertraute Gott,
und der rechnete es ihm hoch an.
1. Mose 15,6
Wenn ich nicht wirklich hinhöre und die Leute nicht aussprechen lasse
Denkt daran, liebe Brüder und Schwestern:
Jeder soll stets bereit sein zu hören,
aber sich Zeit lassen, bevor er redet,
und noch mehr, bevor er zornig
wird.
Jakobus 3,2
Wenn mich die Sorge quält, dass wir wieder eine Depression geschieht
Alle eure Sorge werft auf ihn;
denn er sorgt für euch.
1. Petrus 5,7
Wenn ich die gegenwärtige Situation auf dieser Welt sehe, die Pandemie und die vielen Konflikte
Ich bin das A und das O,
der da ist, der da war und der da kommt.
Offenbarung 22,13
Mein Drang, mich rechtfertigen zu müssen, damit ich gut dastehe
Ich aber weiss:
Mein Anwalt lebt,
und zuletzt wird er sich
über dem Staub erheben.
Hiob 19,25
Wenn ich erlebe, wie ich älter werde und meine Kräfte nachlassen
Ich bleibe derselbe;
ich werde euch tragen bis ins hohe Alter,
bis ihr grau werdet.
Ich, der Herr, habe es bisher getan,
und ich werde euch auch in Zukunft
tragen und retten.
Jesaja 46,4
Bild:
Christus und Abt Menas
Nach einer kirchlichen Überlieferung war er ein ägyptischer Soldat, der später als Einsiedler in Phrygien lebte und nach seinem öffentlichen Bekenntnis zum Christentum verhört, gefoltert und hingerichtet wurde, und zwar im Zuge der Christenverfolgungen durch Diokletian. Seine Reliquien sollen von dort nach Ägypten gebracht und bestattet worden sein, „wo die Kamele stehen bleiben“. Nach einer anderen Legende soll er erst im Jahre 309 n. Chr. den Märtyrertod gestorben sein. (Wikipedia)
Zur Ikone:
https://de.wikipedia.org/wiki/Christus_und_Abbas_Menas
[1] Thomas Härry: Die Kunst des reifen Handelns. SCM R. Brockhaus, 2018, Seite 77
[2] Seite 89
[3] Evagrius Pontikus: Die grosse Widerrede, übersetzt von Leo Trunk mit einer Einführung von Anselm Gründ und Fidelis Ruppert. Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach, 5. Auflage 2019, Seite 7.
Kommentar schreiben
Maria (Sonntag, 21 November 2021 08:00)
Ich kenne sie auch,die schwarzen Gedankenvögel.....wer nicht!?
Die Gedanken ,die verunsichern,ängstigen,beschämen und erschrecken.
Ich habe einen Bibelvers bekommen der meine Abwehr ist,wenn sie geflogen kommen:
"Schaffe in mir ,Gott,ein reines Herz und gib mir einen neuen,gewissen Geist.
Psalm 51,12
Diesen Vers aufzusagen,mehrmals,hilft mir die schweren Gedanken los zu werden.
Seid gesegnet!