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Die globale Krise als Herausforderung an uns alle

Skript einer Lehrveranstaltung des Philosophen Wolodymyr Jermolenko in Kyjiw, übersetzt mit Deepl-Translator und bearbeitet von Max Hartmann.

 

Foto: "Ukraine verstehen": https://ukraineverstehen.de/wolodymyr-jermolenko-philosoph-und-ukraine-erklaerer/

 

 Vielen Dank an unsere Gäste, die in die Ukraine gekommen sind. Eure physische Anwesenheit ist sehr wertvoll für uns. Man kann die Menschen nicht verstehen, wenn man nicht zu ihnen geht, mit ihnen spricht und sie zu verstehen versucht. Ich selbst betrachte mich wie einer unserer großen ukrainischen Denker des 18. Jahrhunderts als wandernder Philosophen, der nicht in seinem Zimmer sitzt, sondern von Stadt zu Stadt geht und mit den Leuten über seine Gedanken spricht. 

 

Nach meinem Vortrag werde ich wieder zusammen mit einigen anderen in den Süden unseres Landes reisen. Morgen werden wir in Cherson sein, einer großen Stadt, die 2022 8 Monate lang von den Russen besetzt war und beidseits des Flusses Dnipro liegt. Die Russen sind dort nur ca. 5 Kilometer entfernt auf der anderen Seite und beschießen die Stadt ständig. In dieser Situation leben zu müssen, ist ziemlich gefährlich. Aber die Leute bleiben trotzdem und versuchen, ein möglichst normales Leben zu legen. Wenn wir zu ihnen kommen, bedeutet nur schon unsere Anwesenheit Unterstützung. Diesmal werden wir dem Militär Bücher bringen. Das ist eine interessante Sache, denn normalerweise bringen wir ihnen Autos. Seit Beginn der groß angelegten Krieges haben wir mehr als 40 Autos zu ihnen gebracht. Wir fahren jeden Monat mehrmals mit Hilfsgütern. Jeder von uns war 3-4 Monate lang schon dort, wenn wir unsere jeweiligen Tage zusammenzählen. usammenzählen. Und dies, obwohl ich zum Beispiel drei Kinder habe, worum ich mich mit meiner Frau zu kümmern habe. Der Schulunterricht in dieser Kriegszeit ist übrigens auch eine interessante Sache, die wir genießen. Nun, das habe ich natürlich etwas sarkastisch gemeint, wenn wir dauernd mit Luftalarmen zurechtkommen müssen. Trotzdem geht der Unterricht weiter, wenn auch nicht an den gewohnten Orten.

 

Die globale Bedeutung dieses Krieges

 

Ich möchte euch einiges zur globalen Bedeutung unseres Krieges erzählen. Das Schlüsselwort, das ich verwenden werde, ist «reaktionär» (an eigentlich nicht mehr zeigemässen Verhältniesen festhalten: Duden). Was ich damit meine, ist, dass wir eine Art Gefangene sind. Wir sind zu einem Gefängnis dieser Idee geworden, dass Demokratien immer gewinnen werden. Ich respektiere Francisco Fukuyama wirklich sehr. Er kommt auch sehr oft hierher. Ich respektiere seine Bücher wirklich, aber ich denke, dass sein Buch „Das Ende der Geschichte“ irgendwie falsch interpretiert und missverstanden wird. Aber es gibt dieses Meme vom Ende der Geschichte und vom Sieg der liberalen Demokratien, das irgendwie aktuell ist und ich glaube, dass wir immer noch irgendwie Gefangene davon sind. Deshalb glauben wir nach wie vor, dass bestehende Imperien und neue Imperien eine Art Missverständnis sind, das früher oder später verschwinden wird, weil sich die Demokratie als stärker erweist. 

 

Ich persönlich denke, dass dies nicht auch der Fall ist. Für mich ist eines der Schlüsselelemente des Denkens die antiken Philosophen von Aristoteles bis zu den modernen Philosophen die Idee der Demokratie. Heute sehen wir aber, dass Demokratien zerbrechlich sind. Es gibt etwas auf der Welt, das sich ihr entgegensetzt, reaktionäre Kräfte, eine Bewegung, die eine Rückkehr der alten Machtvorstellung bedeutet.

 

Die heutigen Demokratien sind schwach geworden, weil die Menschen in den Demokratien oder Republiken, in der sie sich entwickelt haben, ihre Freiheit als selbstverständlich nehmen. Sie betrachten die Freiheit als wie eine Ware, die sie einfach genießen, aber nicht dafür kämpfen wollen. In einem bestimmten Moment der Entwicklung sind die Leute enttäuscht von einer Art des Überflusses an Freiheit, die auf dem Markt heute für sie vorhanden ist. Manche beginnen deshalb, Tyrannen zu unterstützen, diese neuartigen Tyrannen, die heute gekommen sind und sagen: „Okay, wir werden das regeln.“ 

 

Es ist erstaunlich, wie die Krise der Demokratie, die wir heute in fast allen demokratischen Staaten sehen,  uns dasselbe zeigt, was damals aus denselben Gründen zum Faschismus und Nationalsozialismus geführt hat.

 

Dieselbe Entwicklung habe ich auch in unserer Rezeption der antiken Philosophien vor 2000 Jahren gesehen und darauf aufmerksam gemacht, dass es wichtig wäre, dass wir heute auch das Konzept der Imperialismus  verstehen, weil wir in einer Utopie leben, die typisch für das 20. Jahrhundert ist und den Prozess der De-Kolonisierung und De-Imperialisierung für abgeschlossen halten. 

 

Es gibt zwei Probleme in diesem Glauben. Natürlich kennen wir die Geschichte des 20. Jahrhunderts im 19. und 20. Jahrhundert, nachdem die großen europäischen Imperien zusammengebrochen waren, zuerst in Spanien und Portugal, dann im Osmanischen Reich und dem Deutschen Reich und schließlich auch in den als maritim zu bezeichnenden Reichen in Frankreich und Großbritannien, den Niederlanden und Belgien in ihren Kolonien. 

 

Ich betrachte es als  den ersten Fehler, dass wir glauben, dieser Prozess (De-Kolonisierung und De-Imperialisierung) wäre heute mehr oder weniger abgeschlossen. Es ist aber nur die Seite der Entwicklung, und dieser Seite fehlt der Blick auf die andere Seite derhin zur Entwicklung im heutigen Russland.  

 

Die zweite Sache ist, dass die Interpretation der großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wie des Zweiten Weltkriegs sehr einseitig gesehen wurde, nur das, was der Zweite Weltkrieg für die Mainstream-Leute in Europa und Deutschland bedeutet hat, es dabei um den deutschen Imperialismus geht und um den Nationalsozialismus und so weiter. 

 

Drittens ist es eine Illusion, dass die Entkolonialisierung ein natürlicher Prozess wäre. Man hatte früher seine Imperien, dann aber kam die Entkolonialisierung. 

Nun, wir müssen sicher auch die Probleme in den heutigen Demokratien sehen, aber sie sind immer noch Demokratien. Beschäftigen wir uns also mit ihnen.  

 

Wenn wir ihre Geschichte betrachten, lässt sich daraus zwar keine allgemeingültige Regel ableiten, aber wir sehen auch heute wieder denselben Trend wie früher schon: Wenn ein Imperium verschwindet, entsteht ein anderes Imperium, das sich wieder andere Gebiete einverleiben will. Ich nenne dies Re-Imperialisierung. Wenn wir uns die Gesachichte des 21. Jahrhunderts ansehen, spricht sehr viel dafür. 

 

Wir stehen sozusagen am Scheideweg.  Wir können uns immer noch versichern, dass die Idee von Fukuyama, dass sich die liberalen Demokratien sich nach wie vor auf einer Art Expansionskurs befinden, gültig ist. Es ist immer noch möglich und die Existenz der Ukraine beweist es. 

 

Wir sehen aber auch ein anderes, ein sehr düsteres Bild, dass wir im 21. Jahrhundert die Rückkehr der Imperien oder der Entstehung neuer Imperien erleben. Dabei denkt man zuerst an China und an die Art und Weise, wie dieses Land die Welt kolonisiert. Doch Russland könnte in diesem Spiel auch ein möglicher Akteur sein.

 

Die Geschichte Russlands zeigt uns zwei Dinge, die wir beachten sollten: Das erste ist, dass Russland sich ständig als Imperium wieder neu erfindet und die deen aufgreift, die schon früher in der Geschichte populär gewesen sind.  Wie zum Beispiel, wenn wir uns das Moskauer Reich des 16. Jahrhunderts ansehen, als zum ersten Mal die russische Expansion begann und Iwan der Schreckliche das Khanat von Kazan erobert hat  und andere Khanate.  Sibirien wurde erobert bis an den Pazifik. Der Moskauer Imperialismus muss eigentlich so verstanden werden, dass er das Erbe der Goldenen Horde antritt, das Erbe des mongolischen Reiches an. Das Moskauer Reich war ein Teil davon und übernimmt schließlich nach und nach seine Überreste bis ins 18. Jahrhundert. Katharina II. übernahm das Krim-Khanat, was sozusagen die erste Annexion der Krim durch den Kremlimperialismus und das Russische Reich war, immer noch als eine Art Wiederherstellung des mongolischen Reiches der «Goldenen Horde», das eines der mächtigsten Reiche im Mittelalter war. 

 

Dasselbe sehen wir, wenn ich nachdenke,  bereits im Römisches Reich, das schliesslich teilweise zusammenbrach , aber als Imperium in Byzanz weiterlebte. Byzanz wurde aber dann bald von anderen Imperialisten herausgefordert, von den Türken und den Osmanen. Die Osmanen könnte man so sehen, das dass sie uns zeigen könnten, wie Imperien nach dem Zusammenbruch in gute Republiken umgewandelt würden, richtig? 

 

Es ist also durchaus möglich, dass beim Zusammenbruch von Imperien diese Imperien irgendwann Rache ausüben.Wenn wir uns alle diese Dinge in unsere heutige Welt projiziren, welches Resultat wird sich dann für unsere Zukunft ergeben? Wird dann das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Re-Imperialisierung und nicht der De-Imperialisierung werden? 

 

Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, ist es sicher, dass wir im 21. Jahrhundert eine Welt der Re-Imperialisierung haben werden.  Wenn Russland diesen Krieg mit seiner Idee gewinnt, gegen die sich die Ukraine als Republik oder Demokratie wehrt, werden wir ihre Welt haben. In dieser Welt möchte ich, ehrlich gesagt, nicht leben müssen.

 

Es gibt dazu eine Diskussion mit dem, was wir den globalen Süden nennen. Viele Menschen im globalen Süden, viele prominente Redner von dort fragen uns: «Okay, aber wir kämpfen nicht gegen euren russischen Imperialismus. Wir kämpfen gegen den europäischen Imperialismus oder den nordamerikanischen Imperialismus, was auch immer.» Was ich sie dann frage, ist: «Okay, aber welche Vorstellung habt ihr denn? Ihr seid doch auch mit dieser demokratisch-republikanischen Tradition verbunden. Lasst uns nachdenken über das, was ihr für westlichen Imperialismus haltet, der im Verschwinden begriffen ist, und der nun durch einen anderen Imperialismus ersetzt wird, durch den chinesischen Imperialismus, den neuen russischen Imperialismus ersetzt wird. Wäre das für euch besser?»

 

Ich glaube, diese Diskussion fehlt weitgehend in der globalen Welt. Das ist ein Thema, das den sogenannten globalen Norden und den globalen Süden auch mit dem globalen Norden vereinen und wir zu einer echten De-Imperialisierung im 21. Jahrhundert voranschreiten können, damit wir einen neuen Imperialismus verhindern können, wenn wir realisieren, dass in der Geschichte der Sieg von Republiken über Imperien eine Chance ist. 

 

Das zweite, was ich sagen wollte, ist, dass es eine Art Fehlinterpretation des 20. Jahrhunderts gibt, oder besser gesagt, unterschiedliche Interpretationen dessen, was das Ende des Zweiten Weltkrieges im 20. Jahrhundert  für die Menschen in Ost- und Westeuropa mit Nordamerika bedeutet hat.

 

Für die gesamte westliche Welt war das Ende des Zweiten Weltkriegs ein Sieg des Guten gegen das Böse war, während es für Osteuropa ein Sieg eines Bösen gegen ein anderes war. Das ist eine sehr wichtige Sache, die wir alle verstehen müssen, dass es nicht im Osten nur der der Sieg eines des Bösen ist, des Stalinismus bzw. der stalinistischen Version des Kommunismus gegen den Nationalsozialismus, und damit die Stärkung des Stalinismus und durch des Stalinismus des russischen Imperialismus.

 

Im Grunde genommen müssen wir das, was nach dem Ersten Weltkrieg mit Russland geschehen ist, als Beginn einer neuen imperialistischen Phase betrachten, nach seinem Höhepunkt im Russischen Reiches des 19. Jahrhunderts und seiner europäischen Präsenz. Russland im 19. Jahrhundert hatte die Macht über Polen und Finnland. Die ukrainische Frage war damals noch sehr klein, die Schlüsselfrage war damals Polen, die polnischen Aufstände im 19. Jahrhundert. Somit könnte man die Niederlage Russlands im Ersten Weltkrieg als Beginn einer Zeit der Entimperialisierung Russlands sehen, in der Bildung der Sowjetunion, die ein kniffliger Kompromiss war, den Stalin 1930 dann mit seinen massiven Repressionen, dem Holodomor und vielen anderen Gewalttaten zu überwinden versuchte. 

 

Aber im Grunde führte das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, dass der russische Imperialismus wieder zurückkam, Russland wurde wieder stärker. Für den Westen war der 2. Weltkrieg gewonnen, das absolut Böse besiegt, der Nationalsozialismus überwunden. Und Deutschland bereute sein größtes Verbrechen, den Holocaust. 

Für die Osteuropäer ist das alles natürlich auch gültig. Der Nationalsozialismus und der Holocaust waren auch für uns eine riesige Tragödie. Aber für uns war die Gefahr damit nicht vorbei. Nach dem Krieg folgte für uns ein weiterer Teil einer furchtbaren Geschichte. 

 

Im Westen fehlt die Betrachtung dieser weiteren Geschichte. Für uns und Russland war, ehrlich gesagt, der 2. Weltkrieg noch nicht vorbei.  Es gab eine weitere schreckliche Geschichte. Wenn wir uns diese ganze Sache in Bezug auf die moralischen Frage ansehen, dass wir gegen das Böse kämpfen sollten, ist es offensichtlich, dass uns dieses Übel heute im totalitären Russland begegnet. 

 

Ich weiß, dass das Konzept des Bösen für viele sehr problematisch erscheinen mag. Viele kritisieren mich deswegen auch, aber ich bestehe darauf, dass es wichtig ist. Eine andere Sache, die sehr wichtig ist, ist die Tatsache, dass die Natur des russischen Imperialismus sehr oft missverstanden wird, weil wir ihn aus der Perspektive des maritimen westlichen Imperialismus betrachten, weil diese im Ersten Weltkrieg gewonnen haben. 

 

Das ist das Thema von Timothy Snyder. Es ist ein sehr interessantes Argument, dass im Ersten Weltkrieg im Grunde genommen die maritimen Reiche wie Großbritannien und Frankreich gewonnen haben, während die Landreiche wie Deutschland, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und das Russische Reich verloren. Ich denke, dass dies dazu geführt hat, dass die Menschen vergessen haben, dass es auch die Logik des Landimperialismus gibt, die sich von der Logik des Seeimperialismus der maritimen Reiche deutlich unterscheidet. Und zweitens, dass man den Zweiten Weltkrieg immer auch als einen Versuch imperialer Rache sowohl von deutscher als auch von russischer Seite betrachten kann. Gerade weil die Deutschen verloren haben, neigen wir dazu, wie gesagt, den 2. Weltkrieg nur durch die Augen des deutschen Nazi-Imperialismus und nicht durch die Augen des russischen Imperialismus zu betrachten, was übrigens okay ist, aber es ist ein Unterschied. 

 

Was ist also der Unterschied zwischen Seeimperien und Landimperien? Ich werde nun die Ideen beschreiben und dann sagen, dass sie natürlich nie in ihrer reinen Form vorliegen werden, obwohl sie immer wie Hybriden sind. Der Unterschied besteht darin, dass man in maritimen Imperien die entfernten Völker kolonisierte und der Kolonisator zu den Kolonisierten sagte, dass ihr anders seid als ich, und dass dieser Unterschied nicht überwunden werden kann, sodass ihr immer anders sein werdet als ich.

 

Diese Erscheinung zeigte sich deutlich im späteren 19. Jahrhundert, als in Europa die ersten Rassentheorien aufkamen, vor allem in Frankreich und Großbritannien, und diese sich dann auch in Deutschland und an vielen anderen Orten entwickelten. Typrisch ist es besonders bei der Kolonisierung Afrika. Es ist Rassismus, wenn du sagst: «Du hast eine andere Hautfarbe als ich. Deshalb musst du verstehen: Du wirst immer anders sein als ich, du kannst nie so sein wie ich.» Der Unterschied führt zu einer hierarchischen Einordnung: Ich stehe höher als du und darf über dir herrschen. Das ist die Logik des rassistischen maritimen Imperialismus. Die Logik des Landimperialismus dagegen geht anders. Wir sehen es besonders deutlich am Beispiel der Beziehung von Russland und der Ukraine.  

 

Die Logik des Landimperialismus dagegen geht anders: Ich kolonisiere mir nahe Menschen, mir nahe Nationen: «Du siehst aus wie ich und du sprichst auch eine Sprache, die wie meine ist. Wir gehören also zusammen.» Das sagt dieser Kolonisator denen, über die er herrschen will. «Du bist wie ich, du kannst nicht anders sein also ich, du gehörst zun mir.» Das Werkzeug meiner Herrschaft über andere ist nicht die Idee des Unterschieds, sondern die Idee der Gleichheit. Diese Ideologie ist sehr wichtig, wenn wir uns das Verhältnis von Russland und die Ukraine ansehen. 

 

Ich habe bereits gesagt, dass es natürlich Mischformen gibt. Der britische Imperialismus in Bezug auf Amerika im späten 18. Jahrhundert ist wahrscheinlich einer dieser Hybriden, also ein maritimer Imperialismus, aber gleichzeitig vielleicht auch mit der Logik der Gleichheit verbunden. 

 

Andere wissen es besser als ich, aber nehmen wir zum Beispiel den Nationalsozialismus und das, was Hitler tat. Er sagte: «Ihr Juden seid nicht Europäer, ihr seid Semiten, stammt aus Asien. Ihr werdet immer anders sein und könnte nie so sein wie wir. Ihr könnt noch so sehr versuchen, euch zu assimilieren, zu integrieren, unsere Sprache sprechen und wie wir aussehen. Ihr gehört nicht hierher.. Er sah die  Aufgabe der Nazis darin, die Juden in ihrem Versuch der Integration zurückzudrängen, um diese für ihn natürliche Distanz wiederherzustellen. Zuerst geb es bei den Nazis die Idee, die Juden irgendwohin wegzubringen, nach Madagaskar oder sonst wohin, und dann kam die furchtbare Idee der «Endlösung der Judenfrage» durch Vernichtung aller Juden. 

 

Die Logik der Russen gegenüber den Ukrainern ist eine andere. Ihre Logik ist anders als bei den Nazis zu den Juden: «Nicht: Ihr seid anders als wir uns, versucht aber, wie wir zu sein. Nein, das geht nicht: Ihr werdet nie gleich wie wir sein. Ihr könnte noch so sehr versuchen, euch zu assilimieren, dieselbe Sprache zu reden und wie wir auszusehen. Ihr seid Semiten, stammt aus Asien und gehört nicht hierher.» Der Grund zum Rassismus ist hier nicht die Logik einer fehlenden Assimilation. Das ist, so glaube ich, der entscheidende Punkt, der oft nicht verstanden wird.

 

Diese Logik wird irgendwie nicht verstanden, weil Russland als normale Nation wahrgenommen wird, aber Russland ist keine Nation, es ist ein Imperium, das andere Völker, andere Nationen immer wieder kolonisiert. Wir sehen es, wenn wir zum Beispiel die russische Haltung gegenüber Zentralasien, dem Kaukasus oder anderen Gebieten ansehen. 

 

Ich werde damit abschließen und auf meinen ersten Punkt zurückkommen, nämlich die Art und Weise, wie man die russische Geschichte lesen sollte, nämlich so, wie ich Imperium definiere: 

 

Ein Imperium ist etwas, das ein einziges Zentrum hat, aber keine festen Grenzen. Das ist ein großer Unterschied zur Idee der Republik. Ich verwende den Begriff Republik nicht in eurem amerikanischen Kontext, also verwende ich die republikanische Demokratie meist als Synonym, aber mit einigen Unterschieden, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Aber die Idee der Republik, die eine lateinische Übersetzung des griechischen Begriffs Politeia ist, ist die Idee, dass man Grenzen hat, aber mehrere Zentren, keine Expansion. 

 

Wenn man sich die russische Geschichte ansieht, liegt das Problem schon bei der Gründung des Staates. Er wurde nicht in Kyjiw oder anderswo gegründet. Es geschah in der Zeit, als das mongolische Imperium gestürzt wurde und das das neue russische Reich zum Schlüsselakteur in der Nachfolge wurde. Dies geschah im 15. und früheren 16. Jahrhundert, als Russland entstand. Danach begannen die Zaren sofort, ihr Reich zu erweitern, bis an den Pazifik und die Grenzen von China.

 

In der Mitte des 17. Jahrhunderts geschah bei uns das, wofür das Bohdan Chmelnyzkyj- Denkmal steht,  der Aufstand gegen die polnische Herrschaft und damit verbunden  die Hinwendung zu Moskau. Die Ukraine wählte damals die falsche Schutzmacht, was sich bis sehr schlecht auf unsere Geschichte auswirkte. 

 

Damals expandierte das Moskauer Reich bis zum Pazifik aus. Dieser unglaubliche Machtgewinn schuft im russischen Geist die Ideologie, «Russland ist grenzenlos, unser Russland soll immer größer werden und auch unser politischer Einfluss soll weltweit größer werden». Diese Idee der russischen Welt, die Idee des Eurasianismus, ist heute die dominante Ideologie in Russland. In dieser Vorstellung hat Russland mit seiner Zivilisation keine Grenzen und kann ungehemmt in andere Länder einmarschieren, weil dort etwa Teile der Bevölkerung russisch sprechen oder was alles an anderen Gründen angegeben wird. Die russische Angst ist es, dass sich die meisten Russen kein Reich mit festen Grenzen vorstellen können, weil sie ihren Imperialismus nicht aufgeben wollen und sich nicht wie die anderen europäischen Nationen ein Nationalstaat vorstellen können, - aus der Angst Russland würde schrumpfen, an Territorium und Macht verlieren, wenn es seinen Einfluss nicht mehr erweitern kann. Diese Idee ist bis heute bei den meisten Russen allgemein anerkannt. 

 

Aber mein letzter Punkt ist es, dass ich mir wünsche, dass ihr das mitnehmt, dass das 21. Jahrhundert auch ein Jahrhundert der De- und nicht der Re-Imperialisierung sein kann. Der ukrainische Kampf spielt dabei die Schlüsselgeschichte.  Wenn die Ukraine verliert, bedeutet das, dass wir in die Welt der Re-Imperialisierung eintreten. Wir werden also in eine Welt der neuen territorialen Konflikte eintreten, in der Grenzen keine Rolle spielen. Wenn wir wieder Imperien haben, dehnen sie sich immer auch aus. Das wird für uns alle schlecht sein. Für Europa wird es besonders schlecht sein, denn der europäische Traum, in dem alle einen Wohlfahrtsstaat haben, kümmert man sich nicht um das Militär, es kann sich gar nicht selbstständig verteidigen.

 

Europa wird damit seine militärische Kapazität aufbauen müssen, sonst wird die europäische Idee bald einmal einfach weg sein. Dies ist auch wichtig für die USA, weil die USA mit ihrer Idee, sich als Grossmacht für eine allgemein anerkannte internationale Ordnung  und Freiheit und Demokratie einzusetzen. Durch den Krieg von Russland in der Ukraine sind wir heute in einer völlig neuen Lage, die uns alle betrifft Wenn wir uns dieser Bedrohung wirklich stellen, müssen unsere Militärausgaben hoch-, hoch-, hochgehen. Und was wir als unsere bisherigen Ausgaben für unser Sozial- und Gesundheitswesen, die allgemeine Wohlfahrt gewohnt sind, werden tief-, tief-, tiefsinken. In dieser Lage wird man uns Ukrainer wohl sagen: Wir können euch nicht mehr weiter unterstützen...

 

Ich hoffe aber, niemand von uns möchte in einer solchen Welt leben, in der es keine Freiheit mehr gibt, weder im Norden noch im Süden.  

 

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