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Christsein und Politik

 

Ist Jesus politisch links oder rechts?

 

Ob Jesus SP oder SVP wählen würde? Oder EVP oder EDU? Oder gehören Christinnen und Christen zu den «Stillen im Land», die sich politisch abstinent verhalten sollen und das «schmutzige Geschäft» der Politik anderen überlassen?

 

In «frommen Kreisen» war die distanzierte Haltung lange gang und gäbe, was sich allerdings in den letzten Jahren stark verändert hat. Wie in der übrigen Gesellschaft ist aber auch eine zunehmende politische Polarisierung vorhanden.

 

Kürzlich bin ich auf ein kleines Interview gestossen, das das christliche Internetportal «Livenet» vor einigen Jahren mit reformierten Pfarrpersonen geführt hat. In der Einleitung schreibt Fritz Herrli:

 

"Pfarrerinnen und Pfarrer sind gemäss einer Umfrage der Meinung, die biblischen Aussagen liessen sich nicht dem Programm einer einzigen Partei zuordnen. Diese könnten mal linken, mal rechten Positionen entsprechen. Die Kirchenleute sind aber allesamt überzeugt, dass sich die Kirche in die Politik einmischen müsse.

 

Die Frage ist eine alte: Sind die Kirchen, besonders die evangelisch-reformierten Landeskirchen, zu links? Die Diskussion darüber neu ausgelöst hat vor einigen Monaten ein Artikel in der „Weltwoche“ unter dem Titel „Jesus würde SP wählen“. Der Journalist Urs Paul Engeler behauptet darin, die Kirchen hätten in den letzten Jahren immer direkter und einseitiger Politik gemacht – eben linke. Als Beispiele werden Stellungnahmen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) gegen den Irak-Krieg, gegen die Asylinitiative oder der offene Brief an die Schweizerische Volkspartei SVP wegen ihres Ratten-Plakates angeführt. Auch die „Wort zum Sonntag“-Sprecher missbrauchten die Fernsehkanzel immer wieder für einseitig links-grüne Kampfvoten vor Abstimmungen, moniert der Autor des Artikels. Nicht besser kommen die Kirchenboten der reformierten Kantonalkirchen weg. Die Kirchenjournalisten werden nach Meinung des „Weltwoche“-Artikels mehrheitlich in der linken Fraktion vermutet.

 

Die Tendenz des Textes ist auch eindeutig: Die Kirche solle sich mehr um Verkündigung der frohen Botschaft kümmern und sich weniger in die Politik einmischen – und wenn schon, dann politisch ausgewogener. Dass sich die Katholiken sowie die Evangelische Allianz und die Freikirchen vor allem in Familien- und sexualethischen Fragen eher im konservativen Bereich der politischen Skala positionieren, nimmt der Autor des Artikels nicht wahr.

 

Mit einer gewissen Genugtuung nahm offenbar SVP-Nationalrat Christian Miesch aus dem Baselland den „Weltwoche“-Beitrag zur Kenntnis. Er stimmt seinem Inhalt in einer Kolumne im „Baslerstab“ zu. Der SEK fasse jeweils Parolen, ohne die Basis zu befragen, klagt Miesch. „Was sollen wir tun? Nebst den Kirchensteuern müssen wir in unseren Kirchen Gegensteuer geben: Die Kirchen dürfen wir auf keinen Fall ein paar wenigen überlassen.“ Sie müsse wieder „auf den rechten Weg“ gebracht werden.

 

 

Wie sehen dies eigentlich Pfarrerinnen und Pfarrer an der Basis in der reformierten Kirche?

 

1. Finden Sie es grundsätzlich richtig, dass sich die Kirche in die Politik einmischt? Oder soll sie sich aufs „Kerngeschäft“ beschränken?

 

2. Oft wird behauptet, die Kirche mache links-grüne Politik. Ist denn das Evangelium eher links? Gibt es Ihrer Meinung nach auch rechte Positionen? Inwiefern lässt sich aus dem Neuen Testament in gängigen Kategorien politisieren?

 

3. Wie reagieren die Mitglieder Ihrer Kirchgemeinde auf politische Stellungnahmen der Kirche?

 

Hier meine damaligen Antworten:

 

zu 1:

Für mich ist klar, dass sich der christliche Glaube nicht auf Innerlichkeit und „Seelenheil“ beschränken lässt. Jesus Christus will Herr sein über das ganze Leben. Als Christen müssen wie uns einmischen. Was mich jedoch stört, ist, wenn kirchliche Organisationen zu viele einseitige konkrete politische Stellungnahmen abgeben und damit den Eindruck erwecken, dass diejenigen, die es aus ihrer Sicht anders beurteilen, „schlechte Christen“ sind.

 

zu 2:

Das Vorbild ist Jesus Christus. Er hat es gewagt, die Mächtigen zu kritisieren, sich aber dem Dialog nie verweigert. In gewissen Anliegen sehe ich eine Nähe zu linken Anliegen: im Einsatz für Randständige oder in der Kritik überrissener Managerlöhne. Anderes dagegen, was mir aus christlicher Sicht wichtig ist, wie vielfältige Markwirtschaft, Schutz der Ehe und des ungeborenen Lebens, Kampf gegen wachsende Kriminalität und Sozialgesetzmissbrauch sind wohl eher rechte Anliegen.

 

zu 3:

Von vielen werden kirchliche Stellungnahmen kaum wahrgenommen. Es interessiert sie schlicht nicht, was die Kirche denkt. Einige wenige regen sich über die Einseitigkeit bzw. Inkompetenz gewisser Stellungnahmen auf und nehmen sie zum Anlass für einen wohl schon länger fälligen Kirchenaustritt. Vereinzelte wünschen sich eine Kirche mit mehr Profil und Mut zu konkreten Äusserungen.

 

 

Biblische Leitlinien

 

Wie sieht es eigentlich im Blick auf unser «Leitmedium», der Bibel, betreffend der Frage aus, ob wir uns öffentlich politisch äussern sollen?


In der Zeit im Exil, der Verbannung des Volkes Israel in die Fremde nach der Zerstörung von Jerusalem gibt Gott Jeremia den Auftrag, seinem Volk zu verkünden: «Seht zu, dass es der fremden Stadt gut geht, in die ich euch verbannt habe. Betet für sie zum Herrn! Denn geht es ihr gut, wird es euch auch gut gehen. Und ihr werdet in Frieden leben.» Jeremia 29,7

 

In der Zeit der grossen Propheten taucht die Rede vom «Wächteramt» auf, das die Propheten im Blick auf ihr Volk ausüben sollen: «Und des Herrn Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, rede zu deinem Volk und sprich zu ihnen: Wenn ich das Schwert über ein Land bringe und das Volk dieses Landes nimmt einen Mann aus seiner Mitte und macht ihn zu seinem Wächter und er sieht das Schwert kommen über das Land und bläst die Posaune und warnt das Volk – wer nun den Hall der Posaune hört und will sich nicht warnen lassen und das Schwert kommt und nimmt ihn weg, dessen Blut wird auf seinen Kopf kommen.»

 

Zwingli und Calvin haben in der Folge davon vom «Prophetischen Wächteramt» der Kirche gesprochen. Eindrückliche Beispiele, wie dies umgesetzt wurde, können wir bei Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King und Nelson Mandela sehen. Die beiden ersten erkannten frühzeitig die Gefährdung durch den Nazi-Staat und ihrer Ideologie bis hin zum Plan der «Endlösung der Judenfrage». Beide mussten für ihren Mut Konsequenzen ertragen: Barth musste Deutschland verlassen, Bonhoeffer musste mit seinem Leben zahlen. Sehr eindrücklich ist sein Tagebuch «Widerstand und Ergebung», das seine Zeit im Gefängnis erfasst. Der Titel zeigt die Spannung, in der wir Christen stehen können, wenn wir uns im Blick auf unser Engagement in der Gesellschaft an unserem Leitmedium orientieren.

Martin Luther Kind und Nelson Mandela wagten den Widerstand gegenüber dem Rassismus in den USA und Südafrika. Sie kämpften im Geist der Bergpredigt – friedlich – für die Gleichberechtigung aller Rassen.

 

Auch Jesus äussert sich zur Frage unserer Loyalität und dem Bezahlen der Steuern:

"Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gottes gehört.» (Matthäus 22,21)

Er erinnert aber auch, dass politische Macht von oben gegeben ist und Verantwortung bedeutet. Er sagt zu Pilatus:

«Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.» (Johannes 19,11)

Zudem betet Jesus für uns, dass wir seinem Auftrag gerecht werden:

«So wie du mich in die Welt gesandt hast, genau so habe ich sie in die Welt gesandt.» (Johannes 17,18).

In der Bergpredigt spricht zu dem davon, dass wir unser Licht auf die Leuchter stellen und Licht und Salz sein sollen (Matthäus 5, 13-16).

 

In der Apostelgeschichte werden uns aber auch die Grenzen aufgezeigt. Die Mächtigen und Herrschenden dürfen nicht alles mit ihren Untertanen machen. Petrus reagiert auf das Verbot, weiterhin öffentlich von seinem Glauben sprechen zu dürfen, mit der Aussage: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.» (Apostelgeschichte 5,29)

 

Paulus legt der Gemeinde im Blick auf ihr Verhalten der Staatsgewalt gegenüber nahe:

«Jeder Mensch soll sich den staatlichen Behörden unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Behörde, die nicht von Gott eingegeben ist. Auch die jetzt bestehenden sind von Gott eingesetzt. Das heisst: Wer sich gegen die staatliche Ordnung auflehnt, lehnt sich damit gegen die Anordnung Gottes auf.» (Römer 12,1-2)

Gleichzeitig hat er den Mut, den Staat an seine Ordnungen zu erinnern, als ihn ein Statthalter verurteilen will. Er beharrt als römischer Staatsbürger auf sein Recht, in einem ordentlichen Prozess in Rom beurteilt zu werden (Apostelgeschichte 25).

 

Schwieriger zu deuten sind die Aussagen in der Offenbarung, wenn vom Antichristen die Rede ist und einem Kampf am Ende der Zeit. Damals litten die Christen unter heftigen Verfolgungen durch die staatliche Macht. Eindeutig ist in dieser Situation, wem die letzte Macht gehört. Gott trägt den Sieg davon und somit auch diejenigen, die sich auf ihn berufen – auch wenn der Weg sogar über das Martyrium geht.

 

 

Gegenwärtige Situation unter uns Christinnen und Christen – zunehmende Polarisierung in «links» und «rechts»

 

In den letzten Jahren ist die politische Stimmung auch in der Schweiz zunehmend aggressiv geworden und der Graben zwischen den beiden Polen hat sich vertieft. Dieser Zeitgeist zeigt sich auch in unseren Kirchen und unter uns Christinnen und Christen. Es kann dazu führen, dass wir uns auf Grund gewisser Stellungnahmen den Glauben absprechen. Doch es gibt auch die Möglichkeit einer differenzierten Haltung, die nicht in das einfache Schema «links» und «rechts» passt.

 

Es scheint mir, dass viele unter uns jeweils auf dem anderen Auge blind sind. Sie engagieren sich für bestimmte Themen und klammern andere aus.

 

Die Kritik in der «Weltwoche» trifft wohl zu: Viele offizielle politische Äusserungen in unserer Landeskirche passen gut einer «linken Agenda»: Gendergerechtigkeit, Engagement für das Klima, Alternative Energien, Fairem Handel, Geflüchtete, eine positive Haltung zu Migration, UNO, EU, WHO, Einsatz für Randständige, Ausbau des Sozialstaates, Dialog der Religionen, Unterstützung der Corona-Massnahmen, klare Reglementierungen etc..

 

Anders erscheint an der Basis unter uns Christinnen und Christen, denen der Glaube viel bedeutet und als «evangelikal» bezeichnet werden. Da begegnet mir ein grosses Engagement für Mission und Evangelisation, der Entscheidung für einen persönlichen Glauben, dem Schutz des Lebens vor der Geburt und für die Familie, Liebe zur Heimat als Nation Schweiz. Einsatz für das Existenzrecht Israels. Und in vielen eine rechtslastige Haltung: Angst vor Überfremdung, vor dem radikalen Islam mitten unter uns, vor Globalisierung und einem Superstaat, regiert durch EU, UNO, WHO bis hin zur Meinung, dass uns darin der Antichrist begegnet. Kampf gegen Genderideologie, sexuelle Freizügigkeit, Klimamassnahmen. Keine Vorschriften, was Ökologie oder den Auswüchsen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Distanzierte Haltung gegen Entwicklungsarbeit. Zunehmend ein grosses Misstrauen gegenüber den etablierten Medien bis hin zur Rede von der «Lügenpresse».

Wie gehen wir damit um?

 

 

Ist Jesus «links» oder «rechts»? – Eine differenzierte Haltung

 

Es wird nie so sein, dass wir uns politischen Fragen alle einig sind. Oft fällt es mir als Stimm- und Wahlbürger schwer, zu entscheiden. Sicher hilfreich ist eine zunächst positive Haltung: Prüfe alles, das Gute behalte. Beschäftige dich damit, was hinter den Anliegen steht. Urteile nicht sofort. Der andere ist nicht einfach dein Feind. Versuche zu verstehe, worum es geht. Lass sich nicht einfach von einer Partei ganz vereinnahmen.

 

Prüfe und frage dich auch: Was hat unser Leitmedium, die Bibel zu sagen? Ist etwa die Kritik von Reichtum und die ungerechten Bedingungen zwischen Arm und Reich nicht tatsächlich ein zentrales biblisches Thema – bei Jesus und den Propheten?

Im Blick auf Israel: Jesus war Jude. Paulus erinnert daran, dass wir Christinnen und Christen aufgepfropft sind an den Baum – der besonderen Geschichte Gottes mit dem Volk der Juden.

 

Oder im Blick auf andere Religionen: Wir dürfen nicht naiv sein, was den radikalen Islam betrifft. Wir dürfen im Blick auf ihn elementare Menschenrechte einfordern, was dem Verhältnis der Geschlechter, Bildung und Religionsfreiheit betrifft. Wir sollen uns für unsere verfolgten Brüder und Schwestern einsetzen. Und eine christliche Haltung bedeutet sicher auch, dass wir unabhängig von der Herkunft allen helfen, die Hilfe brauchen – wie der barmherzige Samariter. Dass wir uns nicht bequem mit unserer Frömmigkeit abmelden, vorbeigehen, keine Zeit haben. Unser Engagement oder Nicht-Engagement ist und bleibt entscheidend, was unsere Glaubwürdigkeit betrifft. Wenn wir uns für den Schutz vor der Geburt einsetzen, dann befürworten wir auch eine grosszügige soziale Unterstützung. Was ihr einem meiner geringsten getan habt, habt ihr mir getan.

 

Im Blick auf das Schema «links» und «rechts»: Unsere Haltung zu den einzelnen politischen Fragen ist nicht immer eindeutig. Wir entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Manchmal ist es klar. Wir können Steuerbetrag nicht verantworten. Und wir sollten uns auch in der Sprache mässigen und eh bestehende Gräben weitervertiefen, um für die eigene Partei zu profitieren mit billiger Angstmacherei und festen Feindbildern.

 

Ja, da ist ein gewisser Nationalrat aus unserem Kanton tatsächlich kein Vorbild. Und es gut, wenn ein Parteikollege ihn auch öffentlich ermahnt.

 

Foto Max Hartmann, August 2016:

Graffiti in San Francisco mit mutigen Männern und Frauen, die sich im Namen Christi für Gerechtigkeit gegenüber dem unterdrücktem Volk eingesetzt haben. Die beiden ersten, Bischof Romero und Dr. Martin Luther King wurden von ihren Gegnern erschossen. 

 

Ich freue mich sehr über Kommentare: eigene Erfahrungen, Ergänzungen, Widerspruch. Kommentare sind des Schreibers Lohn.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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